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Projektbericht
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Hier bekommt Ihr einen kleinen Einblick in die Geschichte der
DümmerGänse:
Der Plan
Start
Brut
Der Schlupf
Unter Gänsen
Der erste Flug
Entwöhnung
Abschied
Das (vorläufige ?) Ende
Der Plan
Am Anfang stand der Traum, einmal wie Konrad Lorenz unter Gänsen zu
leben, Teil ihrer Gemeinschaft zu sein und das Vertrauen dieser
sozialen und intelligenten Tiere zu genießen.
Daraus entstand der Plan, eine Gruppe Graugänse mit der Hand
aufzuziehen und ihnen anschließend ein Leben in Freiheit zu
ermöglichen.
Die Dümmer-Region mit seinen Naturschutzgebieten erschien uns dafür
als idealer Ort. Zum einen leben dort ganzjährig Graugänse und
ziehen regelmäßig Nachwuchs auf. Zum anderen überwintern in der
Region jedes Jahr bis zu 30.000 Bläss-, Saat- und Graugänse. Ideale
Voraussetzungen also, um unseren Schützlingen den Anschluss an wild
lebende Gänse zu erleichtern.
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Der Start
Im Herbst 2008 wird es konkret, wir "reservieren" Eier bei einem
Bauern aus der Region, der Graugänse als Ziervögel hält. Außerdem
mieten wir für den Frühling / Sommer 2009 und, wie sich im Laufe der
Projektes heraus stellt, auch den Herbst, ein Häuschen in Ufernähe
des Sees.
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Brut
Am 27.März 2009 ist es endlich soweit: wir legen 6 Graugans-Eier in
den Brutkasten; das große Warten beginnt. Die Eier werden regelmäßig
gedreht, befeuchtet und gelüftet, ganz wie eine echte Gänsemutter
das auch gemacht hätte. Das ist extrem wichtig, damit die Kleinen im
Ei nicht an der Innenseite der Schale festkleben, austrocknen oder
zu wenig Sauerstoff bekommen. Außerdem hätte eine echte Gänsemutter
auf ihrem Gelege zudem konstant Laute von sich gegeben, wodurch die
Kleinen im Ei schon vor dem Schlupf die Stimme ihrer Mutter kennen
lernen. Als Alternativprogramm lesen wir unseren Gänseeiern täglich
von den Abenteuern des kleinen Nils Holgersson vor. Und tatsächlich,
zwei Tage vor dem Schlupf antworten uns die Eier mit leisem Piepsen
und wackeln dabei sichtbar.
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Der Schlupf
Genau 28 Tage nach Brutbeginn, in der Nacht vom 23. auf den
24.April, ist es dann soweit: Leno, Fussel und Julchen kämpfen sich
durch die harten Eierschalen. Sie können ihren Kopf noch nicht
heben, trotzdem piepsen und krähen sie schon nach ihren Eltern.
Freudig aufgeregt nehmen wir sie in Empfang und stecken sie unter
unsere Pullover, um sie warm zu halten.
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Unter Gänsen
Wochen und Monate ziehen nun ins Land, in denen uns drei Gössel auf
Schritt und Tritt folgen. Unser gesamter Tagesverlauf von
Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang richtet sich nach unserem
"Nachwuchs", wir erleben einen Sommer unter Gänsen und in freier
Natur.
Die ersten zwei Tage geht es aber noch einigermaßen ruhig zu, denn
die Kleinen haben noch keinen Hunger. Sie zehren vom Eidotter, den
sie erst kurz vor dem Schlupf eingezogen haben. Außerdem werden sie
schnell müde und wollen unter das "Gefieder" ihrer Eltern (unsere
Pullis), bevor sie kühl werden.
Das ändert sich aber so rasch, dass wir kaum wissen, wie uns
geschieht. Plötzlich müssen wir den ganzen Tag ohne Unterbrechung
draußen verbringen: draußen leben, draußen essen, draußen schlafen
(die Gänse-Nächte sind kurz, deshalb holen wir unseren Schlaf
tagsüber nach). Und das bei jedem Wetter und jeder Temperatur.
Hintergrund ist die sogenannte Prägung: Gänse sind Nestflüchter. Das
heißt, dass die Jungen schon kurz nach dem Schlupf mit ihren Eltern
das Nest verlassen und nicht mehr zurückkehren. Das Wissen, wie die
Eltern aussehen und sich anhören ist allerdings nicht angeboren.
Damit die kleinen Gänse wissen, wem sie in den nächsten Monaten
hinterherlaufen müssen, wer für sie sorgt und sie beschützt,
müssen sie innerhalb kurzer Zeit lernen, wer ihre Eltern sind. Das
geschieht mit der Stimme der Eltern schon vor dem Schlupf, das
Aussehen der Eltern prägen sie sich dann direkt nach dem Schlupf
ein. Als "Eltern" werden dabei alle Lebewesen akzeptiert, die auf die
kleinen Gänse reagieren, also vor allem auf ihre Rufe antworten.
Leno, Julchen und Fussel haben sich also auf uns geprägt und folgen
uns nun überall hin. Für außenstehende Beobachter sieht es sehr
"niedlich" aus, wenn sie uns immer hinterherlaufen. Für uns
bedeutet es allerdings, dass sie uns IMMER hinterher laufen. Wir
können sie also keine Minute allein lassen, ohne dass sie
fürchterlich zu "weinen" anfangen. Dementsprechend sind wir von nun
an auch keine Minute mehr für uns.
Nachts schlafen die Gänse zwar zunächst in ihrem Ställchen, einem, an
unseren Wohnbereich angrenzenden Raum, aber tagsüber heißt es nun,
ihnen draußen ihre neue Welt zu zeigen. Erst einmal genügt ihnen der
Garten mit seinem, eigens für sie angelegten Wasserloch. Ziemlich
bald geht es aber zu dem kleinen Bach hinter dem Haus, dann zum Ufer
und ins Schilf des Sees. Schließlich erkunden wir mit ihnen auch die
angrenzenden Wiesen.
Dabei lernen wir als Allererstes, dass Gänse Neuem mit äußerstem
Misstrauen gegenüberstehen. Schon eine weiße Feder, die auf dem
täglich genutzten Weg liegt, kann Grund genug sein, die weitere
Wanderung zu verweigern. Wenn wir unwissend und deshalb
unbeeindruckt von der Feder einfach weitergehen wollen, machen uns
die drei mit lautem Geschrei kenntlich, dass sie nicht gewillt sind,
uns zu folgen. Genauso wenig sind sie aber bereit, allein zurück zu
bleiben. In solchen Situationen, die wir in den kommenden Monaten
häufiger zu meistern haben, heißt es einen gesunden Mittelweg zu
finden. Auf der einen Seite sollen die Gänse auch mal über ihren
Schatten springen und Neues erkunden, auf der anderen Seite sollen
sie auch nicht zu viel Stress ausgesetzt sein.
Unsere Aufgabe besteht in den ersten Wochen eigentlich nur darin,
mit den Kleinen zu futtergünstigen Orten zu wandern und sie auf dem
Weg dahin zu beschützen. Am Anfang stellen kleine Gössel nämlich für
Katzen, Habichte und Krähen noch attraktive Leckerbissen dar, später
allerdings immer weniger. Wir versuchen dabei, uns von anderen
Menschen so weit wie möglich fern zu halten. Später sollen die Drei
ja schließlich unter Wildgänsen leben und sich nicht an der
Uferpromenade zu fremden Menschen gesellen. Noch mehr scheuen wir
aber die begleitendenden "der-tut-nichts" Hunde. Denn zum Erstaunen
vieler Hundebesitzer kann das "ach-so-liebe-Familienmitglied" seine
Instinkte dann nicht unter Kontrolle halten, wenn drei kleine
Federbällchen vor seiner Nase quietschend davonrennen. Da kommt
dann doch, aus Hundesicht völlig verständlich, der Jagdinstinkt
wieder durch. Der verschämte Besitzer erklärt uns dann zwar
regelmäßig: "Das hat er noch nie gemacht, ehrlich.", aber der
Schock sitzt immer tief. Nach den ersten kritischen Begegnungen
lernen wir von den wilden Gänsen, die wir regelmäßig am See treffen:
sobald ein Hund in Sichtweite kommt, fliehen wir mit unserem
Nachwuchs ins Wasser oder das angrenzende Schilf.
Was die eigentlichen Gänsefähigkeiten das
- Finden essbarer Pflanzen
- Schwimmen
- Baden / Fluchttauchen
- Putzen
betrifft, können die Drei eigentlich alles ganz von allein. Manche
Dinge sind durchaus verbesserungswürdig. Zum Beispiel muss auch
eine Gans erst lernen, dass man am besten gegen den Wind landet. So
sehen wir anfangs überaus sportliche Landungen, als dieses Wissen
noch nicht vorhanden ist. Aber sehr viel an Grundwissen ist
offensichtlich genetisch vorprogrammiert.
Schnell lernen wir auch, dass ein Gänseleben sehr einfach und sehr
konsequent aus 4 Tätigkeiten besteht:
- gemeinsam fressen,
- gemeinsam schlafen,
- sich gemeinsam putzen (regelmäßig nach einem gemeinsamen Bad)
- und ... gemeinsam Häufchen hinterlassen.
Letzteres wird erstaunlicher Weise durchgehend während der drei
erstgenannten Phasen vollzogen. Immer. Ohne Ausnahme. Es grenzte für
uns bald an ein Wunder, wie drei so kleine, nämlich nur faustgroße
Federbällchen, einen solchen Dreck hinterlassen können! Unseren
groben Schätzungen zufolge hinterlässt eine junge Gans täglich etwa
ihr Körpergewicht in Form von verdautem Gras. Das ist bei
Tennisball-großen Gänsen noch erträglich. Aber schon nach 4 Wochen
knackt die erste Gans (Leno) die Ein-Kilo-Grenze. Die beiden anderen
folgen in kurzem Abstand. Das sind dann schon knapp 3 Kilo
Hinterlassenschaften, von denen sich immer noch ein guter Teil in
unserem Garten oder auf den Wegen um das Haus herum befindet. Um
Garten und Nachtbarschaft zu schützen, sammeln wir praktisch
stündlich mit dem Kehrblech die Stoffwechselendprodukte ein. Auch
ein Weg, die Biotonne zu füllen ...
Den Häufchen entsprechend wird natürlich auch ständig gefuttert. Am
Anfang junges, zartes und leicht zu zerrupfendes Grün wie
Kleeblätter. Später kommt aber immer mehr auf die Speisekarte. Am
Flussufer wird unter Brennnesselblättern auf Mücken Jagd gemacht,
jedes Gänseblümchen wird geköpft, jedem Löwenzahn geht es an den
Kragen. Systematisch wird auch unser Rasen gestutzt und an jedem
Hälmchen gerupft - wir brauchen 3 Monate keinen Rasen im Garten mähen.
Und so eine kleine Gans weiß auch ganz selbstverständlich, dass sie
Sand und kleine Steine fressen muss. Die helfen nämlich in ihrem
knetenden Muskelmagen, das ganze schwer zu verdauende Grünzeug zu
zersetzen, so dass der Körper die Nährstoffe auch aufnehmen kann.
Zwischen jeder Mahlzeit wird geschlafen. Erst noch bei uns unter den
Pullis, aber auch im echten Gänseleben passen irgendwann einfach
nicht mehr alle Gössel unter das Gefieder ihrer Mutter. Also
kuscheln sich die Drei immer öfter einfach zu einem Haufen
zusammen, das Köpfchen unter die noch ziemlich
kläglichen Flügelstummel steckend. Je größer die drei werden, desto
kürzer werden dabei die Schlafeinheiten und dementsprechend dehnen
sich die Futtereinheiten zeitlich und mengenmäßig aus. Kleine Gänse
haben nicht viel Zeit und müssen sich ranhalten, innerhalb der
ersten vier Wochen verzehnfachen sie ihr Schlupfgewicht.
Nach und nach wagen sich die Drei beim Fressen räumlich auch ein Stückchen weiter von uns weg, bleiben aber in Sicht- und
vor allem in Hör- und Rufweite. Zum Schlafen kommen sie allerdings
immer wieder zurück getapst, kuscheln sich an unsere Hosenbeine
oder setzen sich, als es wärmer wird, in unseren kühlen Schatten.
Das warme Wetter bringt dann auch ausgiebiges tägliches Baden und
Planschen mit sich. Obwohl die Kleinen schon seit dem ersten Tag
- noch bevor sie nach den ersten Grashalmen picken - anfingen,
sich zu putzten und ihren Flausch zurechtzulegen, zeigt erst das
heiße Wetter, wie viel Spaß sie im Wasser haben. Als echte
Wasservögel baden, plantschen und tauchen sie, bis alles so richtig
nass ist. Anschließend wird ausgiebig sortiert, geputzt und
eingefettet.
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Der erste Flug
Schon zwei Monate, nachdem unsere Gänse als faustgroße Gössel aus
ihren Eiern geschlüpft sind, ist es am 28. Juni soweit. Es sind zwar
nur ein paar Meter, aber immerhin: urplötzlich heben die Drei ab und
sind erst mal selber ganz verdutzt.
Anlass ist der mittlerweile zur Tradition gewordene Sprint auf dem
Weg vom Haus zum See. Dabei läuft einer von uns vorne weg und die
Gänse rennen Flügelstummel schlagend hinterher. Doch sind die Flügel
mittlerweile eben nicht mehr nur Stummel. Das ist aber auch den
Gänsen bisher irgendwie entgangen. Der Anführer der Truppe, an
diesem Morgen ist es Olly, sieht sich plötzlich für ein paar
Sekunden von rauschenden Flügeln umringt, dann sind die Drei an ihm
vorbei. Plötzlich, ohne „Leitgans“ vor ihnen, verlieren unsere
Helden aber den Mut. Außerdem kommt eine Hecke mit erstaunlicher
Geschwindigkeit auf sie zu. Als plötzlich die Flügel einfach
eingeklappt werden, führt dies zu einigem uneleganten Gestolpere. An
diesem Morgen erfahren die Gänse ihre erste Bauchlandung und
Lektion. In den nächsten Tagen und Wochen lernen die Drei
vorbildlich, einen Flug nicht einfach abzubrechen, sondern umsichtig
zu planen und gegen den Wind zu landen.
Nun geht es Schlag auf Schlag. Schon anderthalb Wochen später
fliegen die Gänse, mit leichter Starthilfe von uns, selbstständig vom
Haus zum See. Ganz ohne unsere Unterstützung finden sie den Weg zu
Beginn aber nicht, aus der Luft sieht das bekannte Gebiet wohl doch
ein bisschen anders aus und leider können wir ja nicht vornan
fliegen, um den Weg zu zeigen. Sobald die Drei keinen Elternteil
mehr vor sich sehen, wollen sie aber umkehren und dahin zurückfliegen, wo sie ihre
"Leitgans" verloren haben.
Wir überlegen uns deshalb einen Trick: mit Funkgeräten ausgestattet
trennen wir uns morgens. Einer bleibt mit den Gänsen am Haus, der
andere schleicht sich zum See. Dort, etwa 300 Meter Luftlinie vom
Haus entfernt, stellt er sich gut sichtbar und weit draußen auf den
Steg und gibt per Funk Bescheid. Nun führt der Daheimgebliebene die
Gänse zur "Startbahn", einer langen, geraden Strecke, die direkt auf
den See zeigt. Da die Gänse mittlerweile auch gerne fliegen und
außerdem schnell zum See wollen, genügen meist wenige Schritte und
schon sind sie in der Luft. Das wird ebenfalls per Funk berichtet.
Die am See stehende "Leitgans" brüllt nun aus vollem Hals nach den
Gänsen, während der Daheimgebliebene sich schnell versteckt. Etwas
verwirrt fliegen die Gänse den Rufen folgend zum See und sind recht
überrascht, dort einen von uns zu treffen. Aber schon am dritten Tag
ist es nur noch Routine: Start, Flug zum See, Landung. Fast schon
langweilig für drei Vielflieger.
Das laute Gerufe nach unseren Gänsen wird für die Anwohner und
Spaziergänger am See in den folgenden Monaten nun zum gewohnten
Hintergrundgeräusch. Regelmäßig ermuntern wir nun unsere Gänse auf
diese Weise, zu uns oder mit uns zu fliegen. Gut bewährt haben sich
dabei auch unsere Fahrräder. Denn wenn wir bisher zu einigen Wiesen
mit wilden Gänsen wollten, mussten wir quer durch den See laufen.
Nun fahren wir mit den Fahrrädern voraus und die Gänse folgen uns.
Es kommt immer wieder zu Zwischenstopps, denn wir können nicht so
schnell fahren, wie die Gänse fliegen (und leider auch können die
Gänse nicht so langsam fliegen wie wir fahren). Zwar ist das
manchmal mühsam, aber auf diese Weise geht es allemal schneller als
durchs Wasser und die Gänse lernen die, bereits vom Boden bekannte
Landschaft nun auch aus der Luft kennen.
Die Anwohner am Deich merken schnell, dass wir regelmäßig morgens
mit unseren Gänsen vorbei geradelt und geflogen kommen. Täglich
stehen bald ein paar Interessierte mit Ferngläsern und Fotoapparat bereit und warten auf uns.
Aber auch eine andere Entdeckung haben wir mittlerweile gemacht: mit
Schlauchbooten können wir sehr entspannt den See und seine Abflüsse
erkunden, ohne nass zu werden oder, dass es für uns "menschliche
Eltern" zu anstrengend wird. Bald sieht man uns viele Stunden lang
faul auf dem Wasser treiben, während die Gänse gründeln, sich baden
oder einfach eine Runde schlafen. Und nichts ist so entspannend, wie
eine Runde im Schlauchboot unter den Bäumen am Ufer zu schlafen und
es damit den Gänsen gleich zu tun. Auch die guten alten
Computerspiele wie Monkey Island werden auf dem Handy noch einmal
durchgespielt. Nicht zu vergessen die Unmengen an Büchern, die wir
in diesem Sommer verschlingen, während wir mit unserem Nachwuchs das
gute Wetter genießen. Bei diesem Anblick mag sich so mancher
Spaziergänger denken, dass ein Gänseleben für uns Menschen angenehm
faul sein muss. Dabei bedenken wenige, dass wir auch im strömenden
Regen genauso an diesen Stellen sitzen, nur mit Öljacken und -hosen
bewaffnet. So manchen Abend trocknen wir unsere Bücher vor der
Heizung, während die Gänse schon schlafen.
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Die Entwöhnung
Ab Anfang August beginnen wir langsam, unsere Gänse zu entwöhnen.
Dazu lassen wir sie zunächst am Tag vorübergehend alleine. Erst
einmal nur für eine Stunde und vorzugsweise, wenn sie gerade
geschlafen haben. Dann haben die Drei nämlich Hunger und sind nicht
gewillt uns zu folgen. Lieber fressen sie sich erst mal die Bäuche
voll. Nicht so gut funktioniert es hingegen, wenn der Bauch voll
ist. Denn dann will eine Gans schlafen oder sich putzen. Das tut man
selbstverständlich gemütlich in der Gruppe. Und zieht dann ein Teil
weiter, ziehen eben alle mit.
Am 03. August ist es soweit: im Alter von 3 Monaten ziehen wir
abends mit unseren Schlauchbooten auf den See hinaus, um den Dreien
beizubringen, wie ECHTE Gänse schlafen. Bisher sind wir bei Einbruch
der Dämmerung immer noch zurück zum Haus marschiert und die Gänse
haben die Nacht in ihrem "Kinderstall" verbracht. Aber nun, wo sie
sicher fliegen können, halten wir die Zeit für gekommen, unserem
Nachwuchs die wirklichen Gänseschlafplätze zu zeigen. Das ist
wichtig, denn auf den Wiesen am See schaut regelmäßig mal der Fuchs
vorbei. Kein Platz also, um dort die Nacht zu verschlafen. Als
gute Eltern müssen wir natürlich mit gutem Vorbild vorangehen.
Die meisten Nächte sind herrlich. Es ist warm, wolkenlos und
windstill. Wir schlafen wunderbar in unseren Schlauchbooten und den
Gänse gefällt es offenbar auch. Sie bleiben dabei stets in unserer
Nähe, treiben dösend neben unseren Booten her, oder schwimmen ins
flache Gewässer um dort ihren gänsenächtlichen Aktivitäten nachzugehen. Als die Perseiden, ein jährlich wiederkehrender Meteorstrom,
ihren Höhepunkt erreichen, ist die Dümmer-Region eine der wenigen
wolkenfreien Stellen in Deutschland und wir erleben eine
unvergessliche Nacht auf dem See mit hunderten von Sternschnuppen
pro Stunde. Den wenigen Nächten mit leichtem Regen begegnen wir mit
Planen, die wir halb über unsere Boote gespannt haben. Sobald es
anfängt zu tröpfeln, ziehen wir sie einfach über das gesamte Boot
und warten, bis der Regen vorüber ist.
Mitte August ist die Zeit gekommen, die Gänse auch nachts langsam
sich selbst zu überlassen. Wir schleichen uns leise für eine Stunde
weg, um dann pünktlich zur Dämmerung wieder am Steg zu stehen. In
den folgenden Nächten erweitern wir die Zeit, in der die Gänse
alleine sind. Allerdings sind wir stets zur Dämmerung wieder zurück,
um sicher zu stellen, dass die Drei nicht selbstständig ans Ufer
kommen und dort weiter schlafen. Und zur Beruhigung bleibt auch
immer mindestens eines der bekannten Schlauchboote zurück. Dass das
leer ist, merken die Gänse zwar sofort und machen ihrem Unmut über
unsere Abwesenheit auch lautstark Luft, aber ein leeres Schlauchboot
ist offenbar besser als nichts. Wie wir von unseren Verstecken im
Gebüsch beobachten können, kehren sie erst mal zu den vertrauten
Schlauchbooten zurück, wenn sie uns schon nicht finden. Nach ein
paar Tagen haben sie dann gelernt, dass wir zurückkommen und
bewegen sich auch schon mal weiter vom Steg weg in Richtung Schilf.
Schließlich haben wir sie dann soweit, dass wir sie am späten
Nachmittag auf den Wiesen alleine lassen. Bei Einbruch der Dämmerung
kommen sie selbstständig zum bekannten Schlafplatz auf dem See
geflogen, wo wir sie erwarten. Wir verbringen noch ein wenige Zeit
mit ihnen und überlassen sie dann wieder sich selbst. Am nächsten
Morgen treffen wir sie gewöhnlich auf einer der Wiesen in der
Umgebung zum Frühstück.
In dieser Zeit haben wir aber auch das schrecklichste Erlebnis
unseres Gänsesommers: eines abends, Anfang September, sitzen wir am
See und warten, wie immer, auf ihre Ankunft. Auf den umliegenden
Wiesen und Feldern hören wir wieder die Jäger schießen, denn seit
Anfang August dürfen unter anderem auch Graugänse geschossen werden.
Und das tun die ortsansässigen Jäger gut hörbar und ziemlich
regelmäßig. Es wird dunkler und dunkler, aber keine Gänse kommen
angeflogen, um mit uns "ins Bett" zu gehen. Als es schon lange
stockdunkel ist gehen wir mit der schrecklichen Ahnung nach Hause,
dass unsere Gänse nun im Kochtopf gelandet sind. Es wird eine sehr
unruhige Nacht und wir brauchen keinen Wecker, der uns am Morgen
weckt. Zu unserer großen Erleichterung begrüßen uns die Drei
unbeschadet und bei bester Gesundheit laut schnatternd auf Ihrer
Stammwiese, als wir dort ankommen.
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Der Abschied
Ab Anfang Oktober treffen dann mehr und mehr Wintergäste aus dem
Norden am Dümmer ein. Riesige Schwärme von wilden Grau-, Bläss- und
Saatgänsen kommen in die Region. Auch einzelne Weißwangen-, Kanada-
und Nilgänse können wir beobachten.
Unseren Dreien scheint das gut zu gefallen. Besonders, als sie von
den wilden Gänsen lernen, wie herrlich es schmeckt, ein abgeerntetes
Maisfeld zu plündern! Konnten wir vorher noch mit Bestimmtheit
sagen, wo wir sie tagsüber vorfinden, ist jetzt die Zeit
gekommen, in der wir sie mehr und mehr aus den Augen verlieren. Die
Abstände, in denen wir sie antreffen, werden immer größer und wenn
wir sie sehen, sind sie immer mit einem Schwarm wilder Gänse
unterwegs.
Was für ein herrliches Gefühl, wilden Gänsen unser "komm komm" zu
zurufen (von ein paar letzten Wanderern misstrauisch beäugt) und
schon kommen aus einem riesigen Schwarm drei Gänse auf uns zu!
Wir sehen diese Entwicklung mit einem lachenden und einem weinenden
Auge. Unsere Zeit unter Gänsen neigt sich nun unweigerlich dem Ende
entgegen und wir müssen sie ziehen lassen. Aber die Freude
überwiegt, denn unsere drei Gänse fliegen wie geplant frei mit ihren
wilden Artgenossen. Denn nichts kann unseren Dreien eine sicherere
und glücklichere Zukunft bieten, als unter wilden Gänsen zu leben.
Die Sicherheit einer Gans hängt vor allem von dem Schutz ab,
den ein Schwarm bietet. Tausend Augen sehen den Fuchs eher als sechs
und ein Gänseschwarm wird von alten erfahrenen Gänsen geleitet. Die
wissen zum Beispiel, wie und wo man auch bei hohem Schnee auf den
Feldern noch Futter oder bei zugefrorenem Dümmer noch Wasser findet.
Einmal "dürfen" wir noch ganz Gänse-Eltern sein, als wir Mitte
Oktober Leno verletzt vorfinden. Sie scheint in einen
Stacheldrahtzaun geflogen zu sein und hat eine tiefe Wunde am
Flügel. Wir bringen sie zur Tierärztin , wo die Wunde getackert wird
und sie Antibiotika verschrieben bekommt.
Fünf Tage muss Leno das Krankenbett hüten, was sie nur unwillig tut.
Doch anders können wir die regelmäßige Einnahme der Antibiotika und
das Stillhalten des Flügels nicht gewährleisten. Also wird die alte
Kinderstube wieder hergerichtet und einer von uns ist ständig bei
ihr, um ihr einen Mini-Schwarm als Ersatz zu bieten. Nachts schlafen
wir bei ihr im Stroh und sie schnattert kläglich, wann sie denn
wieder in die Freiheit darf.
Am liebsten wäre es uns, Leno wieder frei zu lassen, wenn Julchen
und Fussel dabei sind. Denn wir befürchten, dass es die Drei sonst
schwer haben werden, sich unter den tausenden von wilden Gänsen
wieder zu treffen. Aber es soll nicht sein. 2 Tage fahren wir an den
üblichen Orten mit dem Fahrrad laut rufend auf und ab und werden
dabei nur komisch von wilden Gänsen beäugt.
Weil Leno aber langsam den "Stall-Koller" kriegt, lassen wir sie
trotzdem ziehen. Sie stürzt sich erst mal in den Dümmer, um zu
baden. Anschließend fliegt sie zu einer Schar Wildgänse, die auf den
Wiesen rasten. Uns ignoriert sie, wahrscheinlich als Strafe, weil
wir sie fünf Tage eingesperrt haben.
Und tatsächlich treffen wir die Drei diesen Herbst nicht mehr
zusammen an. Fussel und Julchen haben sich einem anderen
Schwarm angeschlossen als Leno. Diese beiden Schwärme fliegen
sich wohl nicht über den Weg. Zunächst macht uns das ein wenig
Sorgen, aber alle scheinen auch so gut klar zu kommen. Zumindest
sehen wir alle Drei zu unterschiedlichen Zeiten und auch Leno's
Verletzung verheilt gut, denn sie ist munter und fliegt
problemlos.
Die letzten Treffen werden immer kälter und damit für uns richtig
ungemütlich. Den Gänsen macht das natürlich nichts aus. Es wird
November und eine echte Herausforderung, auf den kalten Wiesen Zeit
mit unseren fast erwachsenen Kindern zu verbringen. Wir bemerken,
wie sich unsere Gänse in ihrem Verhalten den Wilden bereits
angepasst haben. Sie sind viel aufmerksamer und schreckhafter geworden. Wir sehen das als gutes Zeichen dafür an, dass sie gewappnet
sind für den kommenden Winter und die Zeit danach.
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Das (vorläufige ?) Ende
Nachdem wir unsere Drei nun kaum noch antreffen und es in unserem
Sommerhäuschen einfach zu kalt wird, brechen wir die Zelte ab. Ein
Gänsesommer liegt hinter uns und unsere drei Schützlinge sind nun
groß und frei mit den wilden Gänsen unterwegs. Ein bisschen
erstaunt, aber glücklich stellen wir fest, dass alles so geklappt
hat, wie wir es geplant und erhofft hatten! Wir fragen uns noch, ob
sie wohl gut durch den Winter kommen werden. Aber die Drei haben uns
lange genug bewiesen, dass sie gut zurechtkommen. Sollten sie in
Zukunft Hilfe nötig haben, haben sie die kompetentesten Lehrer um
sich.
Was für eine schöne Zeit als Teil einer Gänsefamilie zu leben. Und
vielleicht haben wir das Glück, unsere Drei im kommenden Frühling am
Dümmer wieder zu treffen.
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